Sozialarbeitspraxis unter
Lockdown-Bedingungen
Die Sozialarbeitspraxis war 2020 fortan im Krisenmodus: Hilfestellungen mussten den Lebenslagen im Lockdown unter Zeitdruck angepasst werden. Die Herausforderungen, die der Praxis Sozialer Arbeit durch die Corona-Krise „beschert“ worden sind, haben neue Fragen aufgeworfen: Wie überstehen die eigenen Klient*innen die verordneten Einschränkungen im Job und in der Freizeit? Wie lassen sich bewährte Methoden „digitalisieren“, die mehr als einen virtuellen Raum benötigen? Damit einher geht ganz grundsätzlich auch die Frage, wie die Zukunft Sozialer Arbeit im Zuge gesellschaftlicher Digitalisierungsprozesse überhaupt aussehen soll. Dabei befindet sich das Sozialwesen bereits seit Jahren in einem Wandel, der nicht zuletzt maßgeblich durch eine zunehmende Digitalisierung geprägt und durch die COVID-19-Pandemie noch deutlicher geworden ist. Bereits in einer von ver.di im Jahr 2017 in Auftrag gegebenen Studie zeigte sich, dass der Digitalisierungsgrad im Sozialwesen zum damaligen Zeitpunkt bei 67,3 Prozent lag (vgl. Müller/Roth 2017, S. 19). Unter dem Begriff Digitalisierungsgrad fassen die Autor*innen dabei im weitesten Sinne das „Ausmaß und [die] Formen der Arbeit mit digitalen Mitteln“ (ebd., S. 21) zusammen. In anderen Branchen, in denen Sozialarbeiter*innen ebenfalls tätig sind, wie beispielsweise in der Verwaltung oder im Gesundheitswesen, ist der Digitalisierungsgrad laut Studie sogar signifikant höher (vgl. ebd.).
Corona als
Ursprung einer breiten Digitalisierungswelle einzustufen, würde jedoch zu kurz
greifen. Bereits zuvor stellten sich häufig Fragen nach Ausstattungen und
Kompetenzen, die parallel zu zunehmend digitalisierten Lebenswelten von
Adressat*innen in den Fokus rückten. Anbieter wie Facebook, Google und Co. und
Themen wie Hate Speech, Cybermobbing und Medienbildung beeinflussten die
sozialarbeiterische Agenda schon lange vor 2020. Dadurch sind nicht nur
Theorien und Methoden herausgefordert, sondern auch die Bearbeitung oder
Minimierung von existierenden oder entstehenden sozialen Ungleichheiten ist
über die vergangenen Jahre hinweg zu einer zentralen Aufgabe geworden – auch im
digitalen Raum (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
2013, S. 53 & 2017, S. 64). Hinzu kommt eine langjährige Debatte über die
curriculare Verankerung von „Digitalisierung“, „Medienbildung“ und „digitalen
Kompetenzen“ (siehe
hierzu u.a. Helbig/Roeske 2020; Mittmann 2019), wenngleich zumeist im
Einzelfall geklärt werden muss, was das konkret heißt. Dazu gehören Fragen
danach, ob und wie Curricula empirisch und wissenschaftlich gestützt
weiterentwickelt werden müssen. Sicher ist bis hierher nur, dass die
Digitalisierung immer weitere Kreise zieht und Soziale Arbeit auf Meso-, Makro-
und Mikroebene zunehmend beeinflusst und verändert. Die COVID-19-Pandemie ist häufig
als Brennglas-Metapher herangezogen worden, wenn es zu Fragen rund um Digitalisierung
kam.
Digitalisierung in ihren Facetten beleuchten und einbringen
Mit dem Blog-Beitrag im März 2020 wurde der Stein ins Rollen gebracht und fortan entwickelte sich innerhalb der DGSA eine Diskussion darüber, ob eine Fachgruppe zum Themenkomplex Soziale Arbeit und Digitalisierung ins Leben gerufen werden sollte. Im Mai 2020 drang jener Diskurs nach außen, sodass nach und nach Personen kontaktiert wurden, um die Gründung einer Fachgruppe „Soziale Arbeit und Digitalisierung“ in die Wege zu leiten. Dabei wurde schnell klar, dass es vier zentrale Bausteine gibt, die thematisch für die Gruppe relevant werden sollten: „Digitalisierung, Profession und Disziplin Soziale Arbeit“, „Digitalisierung und Sozialwirtschaft“, „Digitalisierung und Adressat*innen Sozialer Arbeit“ sowie „Digitalisierung, Lehren und Lernen in der Sozialen Arbeit“. So entstand Schritt für Schritt ein Gremium bestehend aus verschiedenen Expert*innen [1], welche sich im Juli 2020 zum ersten Mal begegneten – digital. Wenngleich sich einige der beteiligten Personen aus unterschiedlichen Kontexten bereits kannten, so fand die konstituierende Sitzung in der damaligen Zusammensetzung in Form einer Videokonferenz statt. Die Digitalisierung forderte also nicht nur die Zusammenkunft als solche heraus, sondern sie stellt ebenso eine wichtige Säule für die Gründung und Arbeit der Fachgruppe dar. Denn neben Videokonferenzen kommen unterschiedliche Tools zum kollaborativen Arbeiten zum Einsatz, die über eine E-Mail hinausgehen. Zu diesem Zeitpunkt waren viele der im Frühjahr 2020 angestoßenen Prozesse bereits ein Stück weit vorangeschritten, sodass das digitale Aufeinandertreffen keine große Hürde mehr darstellte. Bis zum heutigen Zeitpunkt ist sich die Fachgruppe dementsprechend mehrfach digital begegnet. Dabei sind nicht nur ein Arbeitspapier und ein produktives Miteinander entstanden, sondern auch die Rahmenbedingungen geschaffen worden, die für die Gründung der Fachgruppe „Soziale Arbeit und Digitalisierung“ notwendig waren. Mit Beginn des Jahres 2021 sind nunmehr auch sämtliche ‚Gründungsmitglieder‘ Mitglieder der DGSA, sodass auch die letzten formalen Anforderungen erfüllt sind.
Auf der Homepage der DGSA gibt es weitere Informationen zu den konkreten Anliegen der neuen Fachgruppe, welche sich zahlreichen Fragestellungen widmen möchte, die Soziale Arbeit nicht erst seit COVID-19 begleiten und auch nicht mit dem Ende der Pandemie wieder verschwinden werden. Wir freuen uns, unsere Arbeit „offiziell“ aufnehmen zu können. Weitere Interessent*innen aus allen Bereichen der Sozialen Arbeit heißen wir ab sofort herzlich willkommen.
Kontakt per email an: digsa@listserv.dfn.de
Die Anmeldung zur Mailingliste
der Fachgruppe ist über diesen Link möglich: www.listserv.dfn.de/sympa/subscribe/digsa
Adrian Roeske (M.A. Praxisforschung in Sozialer Arbeit und Pädagogik), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informationsmanagement Bremen, Promovend an der Universität zu Köln (Datafizierung Sozialer Arbeit, digitale Ungleichheiten und Schulsozialarbeit)
[1] Dazu gehören Michelle Mittmann (Sprecherin der FG), Adrian Roeske (stellv. Sprecher der FG), Jan Vanvinkenroye (stellv. Sprecher der FG), Joachim Rennstich, Gabriele Janlewing & Vera Taube.
Literatur:
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017): 15. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. https://www.bmfsfj.de/blob/115438/d7ed644e1b7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf (Zugriff 21.12.2020).
Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (2013): 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über
die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und
Jugendhilfe in Deutschland. https://www.bmfsfj.de/blob/93146/6358c96a697b0c3527195677c61976cd/14-kinder-und-jugendbericht-data.pdf
(Zugriff 21.12.2020).
Helbig, Christian; Roeske, Adrian (2020): Digitalisierung in Studium und Weiterbildung der Sozialen Arbeit. In: Kutscher, Nadia; Ley, Thomas; Seelmeyer, Udo; Siller, Friederike; Tillmann, Angela; Zorn, Isabell (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 333-346.
Mittmann, Michelle (2019): Digitale Kompetenzen in der Lehre der Sozialen Arbeit. Entwurf eines Kompetenzrahmens auf Basis inhaltsanalytischer Auseinandersetzungen mit dem Kerncurriculum der DGSA und dem Qualifikationsrahmens des FBTS. [Master-Thesis; bisher unveröffentlicht].
Müller, Nadine; Roth, Ines (2017): Digitalisierung und Arbeitsqualität – Eine Sonderauswertung auf Basis des DGB-Index Gute Arbeit 2016 für den Dienstleistungssektor, Studie im Auftrag der ver.di Bundesverwaltung Ressort 13, Bereich Innovation und Gute Arbeit. Online unter: https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/++file++592fd69d086c2653a7bb5b05/download/digitalverdi_web.cleaned.pdf (Zugriff am 21.12.2020).