DGSA wird um Fachgruppe „Digitalisierung und Soziale Arbeit“ ergänzt

Als im Frühjahr 2020 erstmalig sämtliche Universitäten und Hochschulen in Folge der Ausbreitung von COVID-19 schließen mussten, konnte kaum jemand ahnen, dass der Ausdruck „Digitalisierungsschub“ im weiteren Verlauf des Jahres zu einer zentralen Begrifflichkeit werden würde. Dieser Schub hat sich als Beschreibung für einen Wandel etabliert, der Pandemie-bedingt (in Teilen) beschleunigt wurde und zur ‚digitalen Aufrüstung‘ zahlreicher gesellschaftlicher Bereiche geführt hat. Unter anderem waren auch die Ausbildungsinstitutionen für Soziale Arbeit herausgefordert, Inhalte digital zu vermitteln und den Betrieb sicherzustellen. Gleichzeitig wurden die Angestellten zahlreicher Organisationen ins Homeoffice geschickt, für welches es Infrastrukturen zu schaffen galt, um digital oder „auf Distanz“ weiterarbeiten zu können. Die Praxis Sozialer Arbeit war umso stärker betroffen, als dass Kontakte zu Adressat*innen von heute auf morgen auf ein Minimum reduziert werden mussten. Bisweilen waren Kontakte gänzlich unmöglich geworden: So haben z.B. Fachkräfte aus der Schulsozialarbeit auf verschiedenen Konferenzen und Tagungen berichtet, dass mitunter keine adäquaten digitalen, datenschutzkonformen Wege zur Verfügung standen und die Ausstattung der Praxis häufig noch eine zentrale Frage war. Dem muss aber auch gegenübergestellt werden, dass es durchaus etablierte Angebote zur Online-Beratung gibt (und gab) und auch ein Bachelor-Studiengang „Soziale Arbeit Online“, der deutschlandweit angeboten wird, längst existiert. Eine Ausstattung und inhaltliche Arbeit in der Breite ist jedoch das, was bis dato noch oft fehlt und Fachkräften die Arbeit nicht unbedingt einfacher macht.

Bettina Radeiski und Michelle Mittmann blickten bereits im März 2020 auf die digitalen Herausforderungen vor dem Hintergrund der Corona-Krise und nahmen in den Blick, wie sie im Netz diskutiert und an Hochschulen umgesetzt werden. Im Laufe des Jahres ist sowohl im Blog der DGSA aber auch auf eigens geschaffenen Plattformen wie dem „SozPaed-Corona“-Blog über die COVID-19-bedingten Herausforderungen geschrieben und diskutiert worden. Diese gingen stets mit Debatten um den Fortschritt der Digitalisierung einher – in der Praxis wie an den Hochschulen.

Sozialarbeitspraxis unter Lockdown-Bedingungen

Die Sozialarbeitspraxis war 2020 fortan im Krisenmodus: Hilfestellungen mussten den Lebenslagen im Lockdown unter Zeitdruck angepasst werden. Die Herausforderungen, die der Praxis Sozialer Arbeit durch die Corona-Krise „beschert“ worden sind, haben neue Fragen aufgeworfen: Wie überstehen die eigenen Klient*innen die verordneten Einschränkungen im Job und in der Freizeit? Wie lassen sich bewährte Methoden „digitalisieren“, die mehr als einen virtuellen Raum benötigen? Damit einher geht ganz grundsätzlich auch die Frage, wie die Zukunft Sozialer Arbeit im Zuge gesellschaftlicher Digitalisierungsprozesse überhaupt aussehen soll. Dabei befindet sich das Sozialwesen bereits seit Jahren in einem Wandel, der nicht zuletzt maßgeblich durch eine zunehmende Digitalisierung geprägt und durch die COVID-19-Pandemie noch deutlicher geworden ist. Bereits in einer von ver.di im Jahr 2017 in Auftrag gegebenen Studie zeigte sich, dass der Digitalisierungsgrad im Sozialwesen zum damaligen Zeitpunkt bei 67,3 Prozent lag (vgl. Müller/Roth 2017, S. 19). Unter dem Begriff Digitalisierungsgrad fassen die Autor*innen dabei im weitesten Sinne das „Ausmaß und [die] Formen der Arbeit mit digitalen Mitteln“ (ebd., S. 21) zusammen. In anderen Branchen, in denen Sozialarbeiter*innen ebenfalls tätig sind, wie beispielsweise in der Verwaltung oder im Gesundheitswesen, ist der Digitalisierungsgrad laut Studie sogar signifikant höher (vgl. ebd.).

Corona als Ursprung einer breiten Digitalisierungswelle einzustufen, würde jedoch zu kurz greifen. Bereits zuvor stellten sich häufig Fragen nach Ausstattungen und Kompetenzen, die parallel zu zunehmend digitalisierten Lebenswelten von Adressat*innen in den Fokus rückten. Anbieter wie Facebook, Google und Co. und Themen wie Hate Speech, Cybermobbing und Medienbildung beeinflussten die sozialarbeiterische Agenda schon lange vor 2020. Dadurch sind nicht nur Theorien und Methoden herausgefordert, sondern auch die Bearbeitung oder Minimierung von existierenden oder entstehenden sozialen Ungleichheiten ist über die vergangenen Jahre hinweg zu einer zentralen Aufgabe geworden – auch im digitalen Raum (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2013, S. 53 & 2017, S. 64). Hinzu kommt eine langjährige Debatte über die curriculare Verankerung von Digitalisierung“, Medienbildung“ und digitalen Kompetenzen“ (siehe hierzu u.a. Helbig/Roeske 2020; Mittmann 2019), wenngleich zumeist im Einzelfall geklärt werden muss, was das konkret heißt. Dazu gehören Fragen danach, ob und wie Curricula empirisch und wissenschaftlich gestützt weiterentwickelt werden müssen. Sicher ist bis hierher nur, dass die Digitalisierung immer weitere Kreise zieht und Soziale Arbeit auf Meso-, Makro- und Mikroebene zunehmend beeinflusst und verändert. Die COVID-19-Pandemie ist häufig als Brennglas-Metapher herangezogen worden, wenn es zu Fragen rund um Digitalisierung kam.

Digitalisierung in ihren Facetten beleuchten und einbringen

Mit dem Blog-Beitrag im März 2020 wurde der Stein ins Rollen gebracht und fortan entwickelte sich innerhalb der DGSA eine Diskussion darüber, ob eine Fachgruppe zum Themenkomplex Soziale Arbeit und Digitalisierung ins Leben gerufen werden sollte. Im Mai 2020 drang jener Diskurs nach außen, sodass nach und nach Personen kontaktiert wurden, um die Gründung einer Fachgruppe „Soziale Arbeit und Digitalisierung“ in die Wege zu leiten. Dabei wurde schnell klar, dass es vier zentrale Bausteine gibt, die thematisch für die Gruppe relevant werden sollten: „Digitalisierung, Profession und Disziplin Soziale Arbeit“, „Digitalisierung und Sozialwirtschaft“, „Digitalisierung und Adressat*innen Sozialer Arbeit“ sowie „Digitalisierung, Lehren und Lernen in der Sozialen Arbeit“. So entstand Schritt für Schritt ein Gremium bestehend aus verschiedenen Expert*innen [1], welche sich im Juli 2020 zum ersten Mal begegneten – digital. Wenngleich sich einige der beteiligten Personen aus unterschiedlichen Kontexten bereits kannten, so fand die konstituierende Sitzung in der damaligen Zusammensetzung in Form einer Videokonferenz statt. Die Digitalisierung forderte also nicht nur die Zusammenkunft als solche heraus, sondern sie stellt ebenso eine wichtige Säule für die Gründung und Arbeit der Fachgruppe dar. Denn neben Videokonferenzen kommen unterschiedliche Tools zum kollaborativen Arbeiten zum Einsatz, die über eine E-Mail hinausgehen. Zu diesem Zeitpunkt waren viele der im Frühjahr 2020 angestoßenen Prozesse bereits ein Stück weit vorangeschritten, sodass das digitale Aufeinandertreffen keine große Hürde mehr darstellte. Bis zum heutigen Zeitpunkt ist sich die Fachgruppe dementsprechend mehrfach digital begegnet. Dabei sind nicht nur ein Arbeitspapier und ein produktives Miteinander entstanden, sondern auch die Rahmenbedingungen geschaffen worden, die für die Gründung der Fachgruppe „Soziale Arbeit und Digitalisierung“ notwendig waren. Mit Beginn des Jahres 2021 sind nunmehr auch sämtliche ‚Gründungsmitglieder‘ Mitglieder der DGSA, sodass auch die letzten formalen Anforderungen erfüllt sind.

Auf der Homepage der DGSA gibt es weitere Informationen zu den konkreten Anliegen der neuen Fachgruppe, welche sich zahlreichen Fragestellungen widmen möchte, die Soziale Arbeit nicht erst seit COVID-19 begleiten und auch nicht mit dem Ende der Pandemie wieder verschwinden werden. Wir freuen uns, unsere Arbeit „offiziell“ aufnehmen zu können. Weitere Interessent*innen aus allen Bereichen der Sozialen Arbeit heißen wir ab sofort herzlich willkommen.

Kontakt per email an: digsa@listserv.dfn.de

Die Anmeldung zur Mailingliste der Fachgruppe ist über diesen Link möglich: www.listserv.dfn.de/sympa/subscribe/digsa 

Adrian Roeske (M.A. Praxisforschung in Sozialer Arbeit und Pädagogik), wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informationsmanagement Bremen, Promovend an der Universität zu Köln (Datafizierung Sozialer Arbeit, digitale Ungleichheiten und Schulsozialarbeit)


[1] Dazu gehören Michelle Mittmann (Sprecherin der FG), Adrian Roeske (stellv. Sprecher der FG), Jan Vanvinkenroye (stellv. Sprecher der FG), Joachim Rennstich, Gabriele Janlewing & Vera Taube. 


Literatur:

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017): 15. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. https://www.bmfsfj.de/blob/115438/d7ed644e1b7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf (Zugriff 21.12.2020).

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2013): 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. https://www.bmfsfj.de/blob/93146/6358c96a697b0c3527195677c61976cd/14-kinder-und-jugendbericht-data.pdf (Zugriff 21.12.2020).

Helbig, Christian; Roeske, Adrian (2020): Digitalisierung in Studium und Weiterbildung der Sozialen Arbeit. In: Kutscher, Nadia; Ley, Thomas; Seelmeyer, Udo; Siller, Friederike; Tillmann, Angela; Zorn, Isabell (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 333-346.

Mittmann, Michelle (2019): Digitale Kompetenzen in der Lehre der Sozialen Arbeit. Entwurf eines Kompetenzrahmens auf Basis inhaltsanalytischer Auseinandersetzungen mit dem Kerncurriculum der DGSA und dem Qualifikationsrahmens des FBTS. [Master-Thesis; bisher unveröffentlicht].

Müller, Nadine; Roth, Ines (2017): Digitalisierung und Arbeitsqualität – Eine Sonderauswertung auf Basis des DGB-Index Gute Arbeit 2016 für den Dienstleistungssektor, Studie im Auftrag der ver.di Bundesverwaltung Ressort 13, Bereich Innovation und Gute Arbeit. Online unter: https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/++file++592fd69d086c2653a7bb5b05/download/digitalverdi_web.cleaned.pdf (Zugriff am 21.12.2020).