„Rechtsextremismus“ – Mandat der Menschenrechtsprofession Soziale Arbeit!?

Rückblick auf den gemeinsamen Studientag „Rechtsextremismus“ der Frankfurt University of Applied Sciences und der IUBH Internationale Hochschule

Rund 480 angemeldete Studierende, über 50 Referent*innen und die Erkenntnis: Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und seinen Strukturen sollte viel stärker in den Curricula der Studiengänge Soziale Arbeit verankert sein. So lässt sich der gemeinsame Studientag „Rechtsextremismus“ von Frankfurt University of Applied Sciences (FRA-UAS) und IUBH Internationale Hochschule bilanzieren.

Der Studientag, organisiert von Michaela Köttig und mir, setzt an einem aktuellen Themenfeld an: Das gesellschaftliche Klima verändert sich in Deutschland und die rassistische Hetze ‚wirkt‘: In der gesamten BRD steigen im ersten Halbjahr 2019 die Zahlen rechter Straftaten auf mehr als 8600. Dass dies nicht Normalität wird, dafür ist eine konsequente Auseinandersetzung mit den Strukturen und den Strategien von Rechtsextremist*innen, aber auch dem staatlichen und gesellschaftlichen Umgang damit, wie es dieser Studientag zum Ziel hatte, absolut notwendig. Soziale Arbeit ist dabei auf vielen Ebenen mit extrem rechten Erscheinungsformen konfrontiert: Rechte greifen seit Jahren Adressat*innen sozialer Berufe ebenso wie Jugendclubs und -häuser an. Sie attackieren Kolleg*innen, weil diese keine „klassischen Familienideale“ vermitteln würden. Rechte verbreiten in den sozialen Medien Gerüchte über Einrichtungen und provozieren damit einen medialen Shitstorm. Rechte Parteien versuchen über parlamentarische Anfragen zu Personal und Finanzierung Einfluss auf die Strukturen Sozialer Arbeit zu nehmen.

Allerdings ist die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus weder in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit selbstverständlich, noch ist sie in den Curricula der Studiengänge Sozialer Arbeit in Deutschland verankert. In angrenzenden Fachgebieten stellt sich die Situation übrigens ähnlich dar:

Dass die Erziehungswissenschaften im Allgemeinen offenbar kein besonderes Augenmerk auf den Nationalsozialismus und Holocaust legen, zeigt eine aktuelle Studie von Nägel und Kahle (2018): Hier wurden über einen Erhebungszeitraum von vier Semestern insgesamt 468 Ver-anstaltungen zum Holocaust in der Bundesrepublik ermittelt (ebd., S. 22). Dabei wurden 45 der 468 Veranstaltungen dem „disziplinären Schwerpunkt“ „Pädagogik, Erziehungswissenschaften“ zugeordnet, was rund 9,6% entspricht. Offen bleibt, ob es sich in diesen Fällen um Veranstaltungen im Kontext erziehungswissenschaftlicher Studiengänge oder auch um Veranstaltungen aus den erziehungswissenschaftlichen Anteilen der Lehramtsausbildung handelt. Insofern überrascht die Erkenntnis einer weiteren Untersuchung (Meyer & Voßberg 2019) nicht: In den untersuchten Modulhandbüchern sowie Studien- und Prüfungsordnungen von 45 erziehungswissenschaftlichen Studiengängen an 27 Universitäten in der Bundesrepublik zeigt sich ein ambivalentes Bild in der Thematisierung des Nationalsozialismus sowie aus den daraus resultierenden Folgen für das pädagogische Handeln. Auf die von Adorno geforderte „Erziehung nach Auschwitz“ wird nur in wenigen institutionellen Selbstbeschreibungen explizit eingegangen und in diesen Fällen in einer Art Anrufung verwendet, die dabei weder auf konkrete inhaltliche Dimensionen des Auftrags fokussieren noch sich in ihrer inhaltlichen Struktur auf diesen beziehen. Sie kommen inhaltlich über das bloße Labeling kaum hinaus. Weder erfolgt eine dezidierte Thematisierung von konkreten Aspekten noch die Übertragung dieser Ideen in eine Studienstruktur, was sich in der Logik und konzeptionellen Geschlossenheit des jeweiligen Curriculums ausdrücken könnte.

Zwar fehlt bisher eine fundierte empirische Forschung, die die Studienstruktur von Studiengängen Sozialer Arbeit auf die gezeigten Aspekte hin untersucht, allerdings dürften die Ergebnisse nicht viel ermutigender ausfallen. In den Hochschulen findet eine Auseinandersetzung mit Strategien der extremen Rechten deshalb nur bedingt Eingang und nicht institutionalisiert statt, so dass die Studierenden auf die sie erwartenden Praxisrealitäten in diesem Themenfeld zu wenig vorbereitet werden. Dieser Studientag ermöglichte durch die Verzahnung von Theorie und Praxis die Anschlussfähigkeit im Beruf, denn die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ist in der Arbeit mit Klient*innen zur Entwicklung von Professionalität unerlässlich. Mit diesem Studientag wurden zentrale Themen angesprochen, die für die Analysefähigkeit der Studierenden und die kritische Reflexion gesellschaftlicher Erscheinungsformen relevant sind. 

Der Studientag wurde am Vorabend durch die Staatssekretärin im Hessischen Wissenschaftsministerium, Ayse Asar, eröffnet. Im anschließenden Vortrag reflektierte Prof. Dr. Micha Brumlik (Goethe-Universität) unter dem Titel „Rechtspopulismus, Rechtsextremismus – Soziale Arbeit“ aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und kommentierte das Erstarken rechter Gruppierungen. An den Vortrag schloss sich bei sommerlichen Temperaturen ein Open Air-Konzert der Band „Strom & Wasser“ auf dem Gelände der Frankfurt University of Applied Sciences an. Die „Ska-Punk-Polka-Randfiguren-Rock Liedermacher-Band aus Kiel“ sammelt eine Million Euro zur Unterstützung von Soziokulturellen Zentren und selbstverwalteten Jugendhäusern in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

Der eigentliche Studientag begann mit der Begrüßung durch Prof. Dr. Gero Lipsmeier, Dekan des Fachbereichs 4 der FRA-UAS, sowie mit der Verleihung des Henriette Fürth-Preises an Steve Massoth für seine Arbeit „Antifeminismus in der ‚Identitären Bewegung‘ – eine Videoanalyse am Beispiel ausgewählter Videos der Kampagnen Radikal Feminin und 120 Dezibel“ und einer Laudatio von Prof. Dr. Lotte Rose. Danach standen für die Studierenden Workshops auf dem Programm. Ziel war es, den heterogenen Kenntnisstand der Studierenden aus verschiedenen Hochschulen sowie Fachsemestern zusammenzuführen und zu einem spezifischen Gegenstandsbereich theoretisch zu unterfüttern.

Der Mittagsvortrag von Prof. Dr. Michaela Köttig (Frankfurt University of Applied Sciences) bildete eine Art Scharnierstelle zwischen den beiden Teilen des Studientags. Auf Basis der historischen Entwicklungen des NSU skizziert sie, welche Rolle sozialarbeitswissenschaftliche Theorien und ihre Anwendung durch die Fachkräfte bei der Entstehung des NSU hatten.

In den anschließenden Arbeitsgruppen griffen die Referent*innen indirekt auf die Themengebiete der Workshops als theoretischer Setzung zurück. Gleichwohl veränderten sie den Blickwinkel und arbeiteten einerseits die spezifischen Verbindungen des jeweiligen AG-Themas mit Sozialer Arbeit sowie andererseits die Arbeit an potentiellen Gegenstrategien heraus.

Im Plenum stellten zum Abschluss der studentischen Arbeitsphase Vertreter*innen der AG zu Beginn kurz Inhalte und Diskussionen aus der jeweiligen AG vor und begründeten so die anschließenden Thesen.

In der abschließenden Podiumsdiskussion brachten Prof. Dr. Bettina Hünersdorf (Kommission Sozialpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft) sowie Prof. Dr. Barbara Thiessen (Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit) die verschiedenen Positionen bei der möglichen Implementierung des Themengebiets „Rechtsextremismus“ in ein Curriculum der Sozialen Arbeit zur Sprache. Michael Leinenbach (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit) und Prof. Dr. Maria-Elenora Karsten (Leuphana-Universität Lüneburg) verwiesen in ihren Beiträgen auf die dringende Auseinandersetzung mit rechtsextremen Tendenzen, denn diese seien Alltag Sozialer Arbeit und die Hochschule der Ort, an dem die künftigen Fachkräfte darauf vorbereitet werden müssten. 

Prof. Dr. Nikolaus Meyer von der IUBH Internationale Hochschule

 

Meyer, N.; Voßberg, T. (2019): Die Verankerung einer „Erziehung nach Auschwitz“ in erziehungswissenschaftlichen Studiengängen deutscher Universitäten. Eine empirische Spurensuche in institutionellen Selbstbeschreibungen. In: Sabine Andresen, Dieter Nittel, Christiane Thompson (Hg.): Erziehung nach Auschwitz. Zur Aktualität von Adornos Maxime im Zeichen einer historischen Kontextualisierung. Frankfurt am Main: Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität (Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft).

Nägel, V. & Kahle, L. (2018). Die universitäre Lehre über den Holocaust in Deutschland. Berlin: Freie Universität Berlin. Verfügbar unter: https://refubium.fu-ber-lin.de/bitstream/handle/fub188/21625/Naegel_Kahle_universitaere_Lehre_ueber_Holocaust_Deutschland.pdf?sequence=7&isAllowed=y [11.01.2019].