Michaela Köttig: Promotionsrecht für HAW in Hessen – und was kommt dann?

Seit vielen Jahren kämpfen Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) in ganz Deutschland für das eigenständige Promotionsrecht. Neben kooperativen Promotionsformen zwischen HAW und Universitäten, bei denen der bzw. die universitäre Kolleg_in formal das Erstgutachten übernimmt und die Universität auch den Doktorgrad verleiht, haben einige Landesregierungen die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen um HAW die Verleihung von Doktorgraden zu ermöglichen und in Hessen wurde bundesweit erstmalig im Oktober letzten Jahres dem Promotionszentrum ‚Sozialwissenschaften mit den Schwerpunkten Globalisierung, Europäische Integration und Interkulturalität’ der HAW Fulda das Recht zugesprochen eigenständig Doktorgrade zu verleihen. Später dann einem weiteren Verbundzentrum der Hochschulen Rhein-Main, Frankfurt und Fulda.

Das Promotionsrecht ist grundsätzlich als Errungenschaft in Richtung der Wahrnehmung und Anerkennung der Wissenschaftlichkeit von HAW zu begreifen. Auch wird damit die Möglichkeit geschaffen, in Disziplinen, die an Universitäten kaum vertreten sind – wie etwa Soziale Arbeit –  wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern und damit auch die Disziplin weiter wissenschaftlich zu fundieren und zu entwickeln.  Dennoch bringt diese Errungenschaft auch Dynamiken mit sich, mit denen sich HAW werden auseinandersetzen müssen.

Doch zunächst einmal die Fakten: Die Voraussetzung für das Promotionsrecht für die hessischen HAW wurde im Hessischen Hochschulgesetz im 4 Abs. 3 Satz 3 geschaffen. Dort heißt es: es „kann Hochschulen für angewandte Wissenschaften durch besonderen Verleihungsakt ein befristetes und an Bedingungen geknüpftes Promotionsrecht für solche Fachrichtungen zuerkannt werden, in denen eine ausreichende Forschungsstärke nachgewiesen wurde“. Gerade der zweite Teil des Satzes hat es dabei in sich, denn sowohl die Hochschule muss den Nachweis ihrer Forschungsstärke erbringen als auch die einzelnen Professor_innen.

Genauere Regelungen dazu wurden in den „Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Verleihung eines Promotionsrechts an hessische Hochschulen für angewandte Wissenschaften“[1] getroffen. Für die Hochschulen wurde festgelegt, um – wie es heißt – „Promovenden ein geeignetes wissenschaftliches Umfeld zu bieten“ – dass sie als organisatorische Basis für die Ausübung des Promotionsrechts fachrichtungsbezogene Promotionszentren einrichten müssen. Auch Soziale Arbeit ist eine der Disziplinen in denen das Promotionsrecht erprobt wird – als eine der Disziplinen in denen es wenig universitäre  Äquivalente gibt. Für die Einrichtung eines Promotionszentrum wurde eine Mindestzahl von 12 ‚qualifizierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen’ der jeweiligen Fachrichtung als erforderlich angesehen. Um dieses Kriterium zu erfüllen, wurde hierbei auch die Möglichkeit der Beantragung HAW-übergreifender Promotionszentren eröffnet.

Mit der Umschreibung ‚qualifizierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen’ ist nun der persönliche Nachweis von Forschungsstärke der beteiligten Professor_innen gemeint. Um diesen persönlichen Nachweis und auch um die Kriterien dafür wurde in zähen Verhandlungen gerungen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil der persönliche Nachweis von Forschungsstärke eine zusätzliche Belastung für HAW-Professor_innen darstellt, den promovierte (und nicht habilitierte) Professor_innen an Universitäten nicht erbringen müssen. Denn: nicht der Titel ist das Problem, sondern dass das Promotionsrecht institutionenabhängig ist. HAW besitzen es bisher nicht, während es Universitäten generell zugesprochen ist. Mit der Einführung dieses Nachweises wird das Ungleichgewicht zwischen universitären Professuren und solchen an HAW weiter fortgeschrieben und es ist zu vermuten, dass dieser persönliche Nachweis insbesondere deshalb eingeführt wurde, um die starken Vorbehalte von Seiten der Universitäten und deren Fachgremien zu entkräften.

Letztendlich wurde ausgehandelt, dass die Forschungsstärke durch eingeworbene Drittmittel und Publikationen nachzuweisen sei. Im speziellen – und ich beziehe mich hier auf die nichttechnischen Fächer – wurde die Summe der eingeworbenen Drittmittel über 3 Jahre auf 150.000 Euro bzw. über 6 Jahre auf durchschnittlich 50.000 Euro im Jahr festgelegt sowie pro Jahr eine Publikation mit erfolgtem peer review Verfahren. Sofern bei einem der beiden Kriterien Drittmittel oder Publikationen eine geringe Unterschreitung vorliegt, sei es möglich, dies durch das andere Kriterium auszugleichen. Darüber hinaus sind folgende Ausnahmen möglich: „Die Professorin / der Professor ist habilitiert oder die Professorin / der Professor war Juniorprofessorin / Juniorprofessor an einer Universität und ist dort positiv evaluiert worden oder die Professorin / der Professor ist durch einen universitären Fachbereich kooptiert oder der Professorin /dem Professor werden durch Gutachten zweier universitärer Professorinnen / Professoren habilitationsäquivalente Leistungen bescheinigt“. Diese Regelungen, insbesondere verbunden mit der Reduzierung des Deputats um 4 Semesterwochenstunden bei der Beteiligung an einem Promotionszentrum bringen spezifische Dynamiken mit sich, wie bspw. eine stärkere Hierarchisierung der Professor_innen an einem Fachbereich auf unterschiedlichen Ebenen; wie zwischen habilitierten und nichthabilitierten sowie zwischen solchen Professor_innen, die nach den festgelegten Kriterien als forschungsstark gelten und solchen, die diese Kriterien nicht erfüllen und auf deren Schultern dann noch stärker die Lehrbelastung liegt.

Darüber hinaus müssen die festgelegten Kriterien kritisch betrachtet werden. Denn es ist zu fragen, ob die Einwerbung von Drittmitteln und das Verfassen peer rewiewter Publikationen tatsächlich eine gute Voraussetzung für die Begleitung von Promotionen darstellt. Geht es nicht viel mehr darum, Nachwuchswissenschaftler_innen in die Disziplin einzuführen zu können – was bspw. durch eine starke innerdisziplinäre Vernetzung sichtbar würde. Auch zentral wäre eine gute und intensive empirische Begleitung, die durch Erfahrungen mit Forschungskolloquien, der Begleitung von Promovierenden sowie durch die Durchführung von Veranstaltungen im Bereich Forschungsmethodik und Forschungsdesigns mitgebracht wird. Diese Fragen allerdings werden in den nächsten 5 Jahren nicht verhandelt werden können – denn erst dann wird das ‚Hessische Modell’ einer Evaluation unterzogen.

Auch muss bedacht werden, dass HAW momentan noch nicht mit den Maßstäben von Universitäten gemessen werden können und die neuen Herausforderungen einfach und mit einem im Vergleich zu den Universitäten sehr geringen Aufwand noch zusätzlich leisten. Nicht ohne Grund übertiteln die hessischen Kolleg_innen Julika Bürgin und Maja Suderland ihren Beitrag in der HLZ (2017) provokant mit „Billiger promovieren an Fachhochschulen“ und zeigen unmissverständlich auf, dass die geringe Ausstattung der Fachhochschulen und der einzelnen Professor_innen sowie deren allgemeine Situation im Bezug auf das Einwerben von Drittmitteln, das Lehrdeputat, den fehlenden Mittelbau und die Hierarchisierung der Kolleg_innen sehr wahrscheinlich dazu beitragen wird sich noch weiter als bisher zu überfordern. Es tut Not, die spezifische Situation von Fachhochschulen ernst zu nehmen und entsprechende Förderprogramme zu entwickeln, so dass es flächendeckend und auf fachlich hohem Niveau möglich wird, Promotionen zu begleiten. Dabei gilt es die Kolleg_innen nicht noch stärker zu be- sondern vielmehr zu entlasten. Insbesondere der persönliche Nachweis von Forschungsstärke mit den genannten Kriterien muss dabei sehr kritisch betrachtet werden. Gilt es nicht vielmehr die HAW so auszustatten, das forschungs- und Entwicklungsräume geschaffen werden sowie ein Klima das wissenschaftliche Kreativität entstehen lässt.

Ein ausführlicher Beitrag zu dieser Thematik erscheint im Frühsommer von Gudrun Ehlert & Michaela Köttig unter dem Titel: Promotionsrecht und Promotionsmöglichkeiten an Hochschulen für angewandte Wissenschaften – Diskussionsstand und Perspektiven. In: Gudrun Ehlert, Silke Birgitta Gahleitner, Michaela Köttig, Stefanie Sauer, Gerhard Riemann, Rudolf Schmitt & Bettina Völter (Hrsg.): Forschen und Promovieren in der Sozialen Arbeit, Opladen: Barbara Budrich