Kohäsion und Spaltung in Social Media: Welchen Beitrag können wir leisten?

Im Folgenden möchte ich die Titel-gebenden Begriffe der Kohäsion und der Spaltung der diesjährigen trinationalen Tagung vor dem Hintergrund der Kommunikation in Social Media diskutieren. Mir ist besonders daran gelegen, die Vorteile von Dissens – insbesondere in Social Media – herauszustreichen, die zu einem vielfältigen Wir führen können.

Für die am 23. und 24. April 2021 anstehende trinationale Tagung der DGSA, OGSA und SGSA wählten die drei Fachgesellschaften den Titel „Europäische Gesellschaft(en) zwischen Kohäsion und Spaltung“. Dabei sei es für die Soziale Arbeit von Bedeutung, „nach ihrem Beitrag zum Herstellen oder auch zum Verhindern sozialer und gesellschaftlicher Kohäsion zu fragen“. Vor dem Hintergrund der Social-Media-Kommunikation interessiert mich besonders der zweite Teil dieser Aufgabe. Und ich interpretiere ihn positiv und entwickle daraus die Frage: Wie gestalten wir Wissenschaftskommunikation, oder allgemeiner: Öffentlichkeitsarbeit, im Netz, die Dissens ausdrücklich erlaubt?

Echokammern, Filterblasen, Cancel Culture

Social-Media-Plattformen, die einstigen Heilsbringer, die freie Meinungsäußerung, Beteiligung und Vielfalt versprachen, scheiterten diesbezüglich an ihren eigenen monetären Interessen. Von ihnen eingesetzte Algorithmen führen uns in Echokammern und Filterblasen, die ungefähr so vielfältig sind, wie Monokulturen. Hinzu kommt ein Phänomen, das scheinbar im letzten Jahr an Prominenz gewann: die sog. Cancel-Culture. In einem, wie ich finde, sehr lesenswerten Artikel der ZEIT beschreibt es der Autor Yascha Mounk wie folgt: „Ein Phänomen, das nicht mehr nur falsche Meinungen bekämpfen will – sondern auch die vermeintlich Falschmeinenden dahinter“. Während seines Doktorstudiums an der Harvard konnte er diesen Shift beobachten. Die vormals so streitlustigen Professor*innen und Student*innen verstummten aus der Angst heraus, sich angreifbar zu machen (vgl. ebd.). Das System Cancel-Culture richte sich eben gegen Einzelne und versuche, sie zu verdrängen. Die Methode ist zudem maximal unsachlich. Denn: „Sie begegnen einer Aussage nicht mit einem Gegenargument“ (ebd.). Im Fazit mahnt Mounk, Organisationen müssten sich ihrer Verantwortung stellen und dürften sich dem „Twitter-Mob“ nicht so einfach beugen. Es bräuchte häufiger ein „selbstbewusstes Nein“.

Nun ist es nicht mein Ziel, in diesem Beitrag diese Phänomene ausführlich zu vertiefen oder gar mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger grundsätzliche Empfehlungen für Social-Media-Kommunikation auszusprechen. Vielmehr bin ich daran interessiert, einen Blick zurück zu werfen – auf die vergangenen (fast) fünf Jahre, in denen ich als Social-Media-Beauftragte der DGSA die Profile bei Twitter, Facebook und Instagram gestaltet habe. Eine Sonderrolle nimmt zudem noch dieses Blog ein. Anlass gibt mir die baldige Aufgabe des Amtes.

Im nächsten Absatz stellt sich also die Frage: Welchen Beitrag konnten wir als Team (der Vorstand, die Mitglieder und ich) leisten, um Spaltungsprozesse, verstanden als die Unterteilung in ein „Guter Cop, böser Cop“-Schema, zu verhindern? Und wie konnten wir Kohäsion, die von Meinungsvielfalt profitiert, befördern?

Dissens erlauben, Vielfalt fördern

Nachdem ich mich zu Beginn meiner Tätigkeit in 2016 mit dem Vorstand zwar auf zwei oder drei konkrete Ziele verständigt hatte (u.a. Steigerung der Sichtbarkeit der DGSA in Social Media), bemühte ich mich zunächst „nach bestem Wissen und Gewissen“. Dies tat ich voller Selbstvertrauen in meine Skills. Schließlich war ich in meinem ersten Berufsleben PR-Beraterin und hatte somit Social-Media-Management von der Pike auf gelernt.

Nun, zum Ende meiner Tätigkeit und v.a. mit Blick auf eine gute und fundierte Übergabe an meine Nachfolgerin Julia Kneuse, sollte ein Konzept entstehen, das das Gute der letzten Jahre zusammenfasst und gleichzeitig theoretisch und methodisch auf sichere Füße stellt.

Die Reflexion der vergangenen Jahre führte mir (mal abgesehen von einigen grafischen Schwachstellen aufgrund mangelnder Photoshop-Kenntnisse meinerseits) vor Augen, dass wir es gut gemacht haben. Nicht, weil die Fan- und Follower-Zahlen schick aussehen. Nicht, weil sich eine gut funktionierende Routine eingestellt hat. Vor allem haben wir es gut gemacht, weil sich durch unser Tun eine Arbeitsweise etabliert hat, die Meinungsvielfalt willkommen heißt und für sie einsteht.

Dabei spielt das Blog eine wichtige Rolle. Hier soll es Mitgliedern der DGSA sowie auch Nicht-Mitgliedern gestattet sein, persönliche Anliegen in Form von kurzen Beiträgen zu veröffentlichen. Und obwohl ich (und zukünftig Julia Kneuse) darauf achte, dass die Beiträge nicht der Satzung der Fachgesellschaft widersprechen, soll es explizit um die Haltung der Verfasser*innen gehen. Bisweilen widersprechen sich die Blog-Beiträge in ihren grundsätzlichen Ausrichtungen und Haltungen, wie man an den Beiträgen von Bogorinsky/Lehmann und Eichhorn sehen kann.

Auf den Social-Media-Seiten der DGSA werden diese Meinungen weitergegeben. Dabei gehe ich neutral vor. Posts der DGSA sind niemals politisch oder tendenziös gefärbt – es sei denn, es wurde zuvor in der großen Runde so beschlossen.

A propos „große Runde“: Mit Stolz erfüllt mich die hervorragende Zusammenarbeit mit dem offenen und engagierten Vorstand. Sofern es nötig war, in eine Diskussion einzusteigen, konnte ich stets die meiner Meinung nach geeignete Person im Vorstand kontaktieren und um Unterstützung „in persona“ bitten. Die notwendigen Diskussionen und Aushandlungen wurden also geführt, indem Fachkundige dafür die Bühne betreten haben und nicht gleich mit dem Account der DGSA das Wort stellvertretend für alle ergriffen wurde.

Der Blick zurück erleichtert und erschwert den Abschied zu gleich. Ich habe den Job sehr gern gemacht. Für mich ergeben sich glücklicherweise im Rahmen der Fachgruppe Soziale Arbeit und Digitalisierung neue Aufgaben innerhalb der DGSA. Mit Julia Kneuse ist außerdem von nun an eine im Amt, die (endlich!) für mehr Bildqualität, v.a. auf Instagram, sorgen kann. Darüber hinaus wird sie mit ihrer einfühlsamen, aufmerksamen und engagierten Art ebenso den Nährboden für eine Mischkultur säen können, um weiterhin offen für Diskurs und Vielfalt zu bleiben. Hierfür wünsche ich ihr nur das Beste!


Michelle Mittmann (M.A. Soziale Arbeit, Mag. Angew. Kulturwissenschaften)

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Studium Soziale Arbeit trifft Digitalisierung
Sprecherin der Fachgruppe „Soziale Arbeit und Digitalisierung