Gedanken aus dem Vorbereitungskreis der „Pre-Con“ zum Tagungsthema „Demokratie und Soziale Arbeit” der DGSA-Jahrestagung 2018

Warum dieser Beitrag?

Eigentlich immer, wenn eine Konferenz, an der Mensch teilnehmen möchte, ansteht und der Call for Papers ins Haus flattert, stehen die großen Fragen an: Was hat der eigene Themenschwerpunkt mit diesem Call zu tun? Wie finde ich die passenden Verbindungen, wo gibt es Anknüpfungspunkte und wie formuliere ich das am besten aus?

Auch wenn unsere Aktivitäten und Planungen zur neuen Vorkonferenz, oder moderner gesprochen „Pre-Con“, für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Sozialen Arbeit nicht notwendigerweise zum Thema der Konferenz passen müssen, beschäftigt uns natürlich die Frage, welche Verknüpfungen Sozialer Arbeit zur Demokratie bestehen. Für uns als Mitorganisator*innen ist dies nicht nur eine Frage, die auf theoretischer Ebene zu klären ist. Das diesjährige Thema der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit Jahrestagung zur „Demokratie und Soziale Arbeit” betrifft uns auch persönlich, sowohl als Nachwuchsforscher*innen als auch als Sozialarbeiter*innen.

Im Folgenden wollen wir daher aus unserer Rolle als Vorbereiter*innen der „Pre-Con, aber auch als Vertreter*innen unserer wissenschaftlichen Disziplin unsere (nicht immer widerspruchsfreie) Debatte zum Thema kurz darlegen. Dabei spannen wir den Bogen ausgehend von unserer Sichtweise auf die gesellschaftliche Funktion Sozialer Arbeit bis hin zu der persönlichen Motivation der (Mit-) Organisation einer „Pre-Con“.

 

Die aktuelle Debatte um Demokratie und Soziale Arbeit auf den Punkt gebracht

Der Sozialphilosoph Oskar Negt schreibt, dass Demokratie die einzige politisch verfasste Gesellschaftsordnung ist, die stetig und von allen Mitgliedern der Gesellschaft erlernt werden muss. Bildung stellt somit also ein zentrales Element für das demokratische Miteinander dar. Das aktuelle politische Geschehen verdeutlicht die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit Demokratie und Bildung, was sich auch im Call zur Tagung der DGSA wiederspiegelt.

Das Erstarken von rechtspopulistischen Einstellungen in der sogenannten „Mitte“ der deutschen Gesellschaft wie auch die rassistischen und fremdenfeindlichen Begleiterscheinungen sind Anzeichen einer Haltungsänderung zum demokratischen Miteinander. Die Lage in Europa und weltweit ist ähnlich. Demokratische und diskursive Aushandlungsprozesse weichen zusehends autokratischen Strömungen. Von der Aushöhlung demokratischer Grundwerte zugunsten von Sicherheit und vermeintlich gefestigter Ordnung bis hin zu offener Unterdrückung und Krieg – die Formen sind vielfältig. Es überrascht also nicht, dass in diesem Zusammenhang die Debatte um Demokratie aktuell wieder intensiver geführt wird. 

Im Rahmen dieser Debatte verstehen wir auch die Absicht der DGSA, sich in diesem Jahr mit dem Thema zu beschäftigen und nehmen die im Call aufgeworfenen Fragen als Anregung auf, uns mit eben dieser Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Demokratie aus Sicht der eigenen wissenschaftlichen Disziplin aktiv zu befassen. Es fällt uns besonders positiv auf, dass hinführend auf die zentrale Frage danach, in welcher Welt wir leben wollen, einige Umstände klar beim Namen genannt werden. Diese Frage zu stellen oder generell kritisch über Gesellschaft nachzudenken, ist gar nicht so selbstverständlich. Menschen, die diese Fragen stellen, werden gerade in der Debatte um Soziale Arbeit häufig genug in eine linksextreme Ecke gerückt und als systemzersetzende enfants terribles gelabelt. Die hessische Debatte rund um die „Extremismusklausel“ und die Förderung von Demokratieprojekten untermalt diese Tendenz – auch für die Soziale Arbeit.

Es ist für uns als kritische Wissenschaftler*innen daher absolut anschlussfähig, dass der Call der DGSA das Kind beim sogenannten Namen nennt und klar verdeutlicht, dass es rechtspopulistische Kräfte sind, die die Demokratie ablehnen und einer vielfältigen und offenen Zivilgesellschaft entgegenstehen. Hier zeichnet sich ein aktueller Fokus für die Sozialarbeitswissenschaft ab: Das Aufkommen neurechter Strukturen als Folge der sich aus dem Neoliberalismus ergebenden Verteilungsfragen.

Wenn die Soziale Arbeit Demokratie und die Menschenrechtskonvention als Grundlagen ihrer Arbeit versteht, dann ist es nur konsequent, wenn die DGSA die Fragen so fundamental formuliert. Wir freuen uns daher auf die Beiträge, die, dem Call folgend, eine kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen erwarten lassen. In unserem Blogbeitrag wollen wir nun aber unsere eigene Position als Teil der jungen Wissenschaft in ein Verhältnis zum Thema Demokratie setzen. Eine kritische Perspektive einnehmen heißt für uns, die demokratische Gestaltung der eigenen Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft voranzutreiben und solidarisch zu handeln. Diese Absicht wollen wir nun anhand der von uns (mit-) organisierten Vorkonferenz skizzieren und anschließend kurz einen Blick auf andere Bereiche unserer Aktivitäten werfen.

 

Die Vorkonferenz als Konsequenz und Praxis partizipativer Mitgestaltungsmöglichkeiten 

Was zuerst als lose Idee in kleiner Runde begonnen hat, zog ziemlich schnell große Kreise. Die hohe Zustimmung und große Resonanz auf die Ausschreibung der Vorkonferenz deutet auf einen Bedarf hin, der von uns vorher so nicht erwartet wurde. Die Vorkonferenz für Nachwuchswissenschaftler*innen an die Jahrestagung der Organisation anzugliedern, die sich die Förderung der Disziplin und Profession Sozialer Arbeit auf die Fahnen schreibt, liegt nahe und steht in der Tradition der Bemühungen der Fachgruppe Promotionsförderung sowie der Sektion Forschung der DGSA.

An dieser Stelle gehen wir nicht noch einmal auf die laufende Wissenschaftsdebatte hinsichtlich der Sozialen Arbeit ein. Vielmehr folgen wir Ilse Arlts Forderung, dass die Fürsorge, wenn sie ihren ungeheuren Aufgaben in der modernen Welt entsprechen will, sich des Werkzeuges bedienen muss, das sie begründet: der Wissenschaft! Und ihr folgend muss sie anschließend auch handeln.

Arlts zeitlose Aussage ist aktuell wie eh und je: Will die Soziale Arbeit ihre Aufgaben im Sinne der Demokratie jetzt und auch zukünftig ausfüllen, muss sie forschen und sich als wissenschaftliche Disziplin weiterentwickeln.

Wie auch immer man zu einer Wissenschaft Sozialer Arbeit stehen mag, die Zahl derer, die sich in diesem Feld promovieren wollen und dies auch erfolgreich zu Ende bringen, steigt. Eine Wegmarke dieser Entwicklung stellt u.a. die Tagung „Forschen und Promovieren in der Sozialen Arbeit” dar, die 2016 in Kooperation von Vertreter*innen von Wissenschaft, Lehre und Praxis Sozialer Arbeit mit dem Ziel ausgetragen wurde, Möglichkeiten und Ist-Stand der Promotionsförderung öffentlich zu diskutieren.

Ein Ergebnis dieser Tagung war die Übersicht über bestehende Angebote und Möglichkeiten, die durch das fehlende Promotionsrecht und fehlende Repräsentanz des Fachs auf Universitäts-Ebene nach wie vor komplizierten und aufwändigen organisatorischen Prozesse einer Promotion nach Fachhochschul-Abschluss zu unterstützen. Hier hat sich in den letzten 20 Jahren viel getan: Von der Entstehung von Promotionskollegs und Promotionszentren sowie des Formats der kooperativen Promotion bis hin zur Verleihung des eigenständigen Promotionsrechts für das Promotionszentrum der Fakultät Sozialwissenschaften der Hochschule Fulda durch das hessische Kultusministerium.

Hierbei sollte man trotzdem nicht übersehen, dass alle diese hochschulpolitischen Entscheidungen die Notwendigkeit beinhalten, Universitäten in den Prozess mit einzubeziehen. Weil die Soziale Arbeit dort nicht etabliert ist, bewegen sich Forscher*innen der Sozialen Arbeit auf dem Weg zur Promotion also noch immer in fachfremden Gefilden und werden von Professor*innen anderer, wenn auch benachbarter, Disziplinen angeleitet. Unbestritten hat das seine Vorteile und erweitert die Perspektive. Allerdings erleichtert es nicht unbedingt die Identitätsfindung als Sozialarbeitsforscher*in und die selbstbewusste Vertretung der eigenen disziplinären Perspektive.

Hochschulpolitisch wurde ein gutes Stück Weg gegangen (nicht ohne den Verdacht zu erwecken, dass damit den Forderungen nach eigenständigem Promotionsrecht für Fachhochschulen der Wind aus den Segeln genommen wird). Es wurden Infrastrukturen geschaffen, aber Promovieren in der Sozialen Arbeit findet nach wie vor größtenteils im akademischen Exil statt.

Mit anderer Perspektive starteten 1998 die Bemühungen der DGSA-Fachgruppe Promotionsförderung und ihre organisatorischen Vorläufer:

Die Gründung der Fachgruppe, eine Kampagne zur Benennung von Promotionsbeauftragten an Fakultäten Sozialer Arbeit und die Etablierung eines wissenschaftlichen Beirats zur Promotion durch den Vorstand der DGSA waren strategisch wichtige Schritte.

Weitere Angebote richten sich handlungsorientiert direkt an die Nachwuchsforscher*innen: Mit der Fachgruppe als Basis und Netzwerkbildung als Ziel etablierten sich regelmäßige jährliche Kolloquien, Informationsnetzwerke (Promotionsrundmail und Facebook-Forum), Tagungen und Info-Panels zum Thema sowie die Sammlung nützlichen Wissens über die Forschungslandschaft der Sozialen Arbeit (Sammlung der Fachzeitschriften Sozialer Arbeit und relevanter Bezugswissenschaften, Bibliographie zur Thematik der Promotion nach Fachhochschul-Abschluss sowie Sammlung von Promotionen nach Fachhochschul-Abschluss).

Hier wollen wir mit der Vorkonferenz ansetzen und nehmen uns dazu genuin sozialarbeiterische Prinzipien zu Hilfe: Netzwerkarbeit, Teilhabe und Empowerment für die zukünftigen und aktuellen Forscher*innen in der Sozialen Arbeit. Dieses Angebot ist, gerade weil Forscher*innen der Sozialen Arbeit im Rahmen der herrschenden Bedingungen größtenteils keine fachbezogene Basis an den Hochschulen finden, nicht an eine bestimmte Hochschulzugehörigkeit gebunden, sondern sieht sich der Disziplin der Sozialen Arbeit als gemeinsames Element verpflichtet.

 

Über Alternativen ins Gespräch kommen

Wenn man so will, kann man die Vorkonferenz als ‘grassroot’ Aktion sehen: Auch wenn noch tausende hochschulpolitische Fragen und Strukturen zu klären sind, wir fangen schon einmal an. Denn die Soziale Arbeit braucht eine passende und eigene Wissensbasis. Eine, die im Zusammenspiel von Forschung und Praxis entwickelt und ausgebaut wird. Und dafür braucht es gut ausgebildete und untereinander vernetzte Sozialarbeiter*innen, die diese Aufgabe meistern und ihre Expertise weitertragen. Die steigende Anzahl von Promotionen nach Fachhochschulabschluss in der Sozialen Arbeit zeigt, dass wir das können. Jetzt gilt es Wege zu ebnen und Strukturen zu schaffen, die unabhängig von hochschulpolitischen Entscheidungen sind und die bisherige Entwicklung weiterführen.

Die „Pre-Con“ bietet im Rahmen der Vernetzung nicht nur ein Zusammenkommen innerhalb des eigenen Rahmens, sondern bietet darüber hinaus bewusst auch die Möglichkeit, andere Netzwerke und vor allem auch alternative Wege eines gemeinsamen Promovierens vorzustellen. So blicken beide Autor*innen bereits auf unterschiedliche Erfahrungen zurück. Mit dem Engagement von Vera Taube in der DGSA-Fachgruppe Promotionsförderung und ihren Erfahrungen hinsichtlich promotionsbezogener Vernetzung auf internationaler Ebene sowie den Aktivitäten von Fabian Fritz als Gründungsmitglied eines solidarischen und selbstverwalteten „Promotionskolloquiums Kinder- und Jugendarbeit im deutschsprachigen Raum“ sollen hier nur zwei Varianten genannt werden. Die Erfahrungen der rund 60 weiteren Teilnehmer*innen versprechen einen fruchtbaren Austausch über verschiedenste Strategien, in der Sozialen Arbeit zu promovieren.

Uns erscheint es sinnvoll, auch die eigenen Arbeitsbedingungen in ein Verhältnis zur Promotion und dem Wirken als junge Wissenschaftler*innen zu setzen. Wir hoffen daher, dass auch Themen wie Befristungen, hohe Lehrverpflichtungen usw., wie sie vom „Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“ (NGAWiss) angeprangert werden, zur Sprache kommen und so der Vernetzung des akademischen Mittelbaus zuträglich sind.

An dieser Stelle möchten wir auf die anfangs skizzierten Ideen zum Thema Demokratiebildung zurückkommen. Auch wir als Vertreter*innen der jungen Wissenschaft lernen Demokratie stetig neu und auf unterschiedlichen Eben kennen. Sie tritt als Regierungsform auf und ist in den Gremien und den formal geregelten Satzungen unserer Hochschulen und Berufsverbände festgeschrieben. Aber auch die Demokratie als Lebensform darf nicht vergessen werden. Sie tritt in Bündnissen, in ‘grassroot’ Initiativen oder eben auf Vorkonferenzen auf, wenn es darum geht, kollektiv handlungsfähig zu werden. Für uns ist daher die Nähe von kritischen Sozialarbeiter*innen bzw. Sozialpädagog*innen zu Berufsverbänden, Gewerkschaften und Initiativen genuin mit der Feststellung verbunden, die die DGSA im Call aufwirft, wenn sie Soziale Arbeit eng mit Aspekten von Demokratie und Teilhabe verbunden sieht.

So steht am Ende also die Frage, wo Mensch Demokrat*in wird, wie sie der Hamburger Erziehungswissenschaftler Helmut Richter stellt und die Antwort in kommunalen Vereinen und Initiativen verortet, da sich die Demokratie dort als Lebensform verwirklicht. Diese Frage wollen wir zum Ende für unser eigenes Wirken stellen und beantworten.

Wir sehen in Netzwerken, Initiativen, Tagungen, Vereinen, Berufsverbänden und Gewerkschaften Orte, an denen wir eine Möglichkeit schaffen, um miteinander in Diskurs zu treten. Dort agieren wir als Demokrat*innen und praktizieren Demokratiebildung. Ein praktisches Beispiel sehen wir, um konkreter zu werden, im "Netzwerk junge Wissenschaft der Sozialen Arbeit" in der DGfE-Kommission Sozialpädagogik, welches die Mitsprache der jungen Wissenschaft in der Kommission sicherstellt.

Wir wollen die „Pre-Con“ nutzen, um gleiche oder ähnliche Modelle für uns zu diskutieren. Wir sind davon überzeugt, dass wir so zu dem beitragen, was uns als Sozialarbeitswissenschaftler*innen eine kritische Auseinandersetzung mit Fragen der Sozialen Arbeit, wie beispielsweise dem Tagungsthema, ermöglicht: Weltanschauung und Haltung und einem Ort, um darüber öffentlich in Diskurs zu treten.

Oder, um es mit den Worten von Alice Salomon zu sagen: „Wissen und Handeln, Denken und Tun muss auf einer Weltanschauung ruhen“.

 

Vera Taube & Fabian Fritz, 

OrganisatorInnen der Vorkonferenz für Nachwuchswissenschaftler*innen in der Sozialen Arbeit