Dual ist die Lösung!? Was war nochmal das Problem?

Seit nunmehr fast 50 Jahren wird Soziale Arbeit (und ihre Vorläuferfächer Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Sozialwesen u.a.) als Studienfach einerseits an Fachhochschulen respektive Hochschulen für Angewandte Wissenschaften und andererseits als Sozialpädagogik/Soziale Arbeit an Universitäten gelehrt. Seit einiger Zeit gibt es jedoch auch mit Berufsakademien bzw. Dualen Hochschulen und anderen Institutionen alternative Modelle, die allesamt ein (noch) deutliche(re)s Gewicht auf hohe/höhere Anteile von integrierter Praxis legen.

Seit Anbeginn der akademischen Vermittlung Sozialer Arbeit steht diese im Verdacht, zu praxisfern zu sein. In jüngerer Zeit wird sogar behauptet, sie sei „verkopft“, zu wissenschaftlich und würde sich immer mehr in den akademischen Elfenbeinturm zurückziehen. Absolventinnen und Absolventen seien nicht gut genug auf die professionelle Praxis vorbereitet und würden in der Berufseinmündungsphase einen Theorie-Praxis-Schock erleiden.

Duale Studiengänge, so die Annahme vieler, würden dieses vermeiden können, da sie Praxis und Theorie in ein besseres Verhältnis – qualitativ wie quantitativ – bringen würden. 

Was ist dran an dieser Kritik und sind duale Studiengänge die Lösung? Diese Frage stelle ich mir vor dem Hintergrund folgender Positionen: Zum einen als Hochschullehrer, dessen Hochschule sich seit ca. zwei Jahren mit der Anfrage auseinandersetzen muss, ob sie nicht ein duales Studienmodell Sozialer Arbeit umsetzen könne bzw. wolle. Zum anderen jedoch als Sozialarbeiter, der sich mit breiter Brust für eine hohe Professionalität der Sozialen Arbeit einsetzt, in beruflicher wie wissenschaftlicher Perspektive. An dem Modell des/der wissenschaftlich ausgebildeten Professionellen geht diesbezüglich kein Weg (mehr) vorbei. Die Zeiten sind vorüber, in denen man der Meinung sein konnte, Soziale Arbeit sei eine Semi-Profession, und man sich damit abfinden musste, das Studium als Halb-Akademiker_in abzuschließen. Die wissenschaftlichen Entwicklungen, zu deren Erfolg auch die DGSA und die in ihrem Rahmen sich entfaltenden Aktivitäten beigetragen haben, wie auch die professionellen Entwicklungen (Berufsethik, qualifizierte Methodenentwicklung, Fachkräftebedarf u.a.m.) zeigen, dass es keinen Weg zurück gibt zu einer schulischen Ausbildung oder auch einer mehr oder weniger laienhaften Arbeit. Dieser ist – für immer? - verstellt und das ist auch gut so. Am wichtigsten ist dabei jedoch, dass die Unterstützung von Menschen, die sich in prekären Lebenslagen befinden und eine professionelle Unterstützung in ihrer Lebensführung dringend benötigen, keine Semiprofessionalität verträgt, sondern im Gegenteil eine sehr hohe Kompetenz.

 

Eine Behauptung und ihre Hinterfragung 

Was ist aber dran der Behauptung, dass diese Professionalität im dualen Studienmodell besser erworben werden könne? Zunächst erstmal aus meiner Sicht nicht viel, denn schaut man genau hin, steht die Kritik aus mehreren Gründen auf unserem Grund: 

-        Am wichtigsten: Wo ist der empirische Beweis für die unzureichende Professionalität der Sozialarbeiter_innen in den verschiedensten Handlungsfeldern? Wo kann die Kritik tatsächlich Belege anführen, und wo handelt es sich um Behauptungen, die teilweise nur Probleme der Praxis widerspiegeln oder besser gesagt projizieren?

-        Mindestens ebenso bedeutsam: Woran bemisst sich professionelles Können, reflektiertes Wissen und eine angemessene Haltung? Besteht sie darin, sich als wissenschaftlich ausgebildete_r Professionelle_r eine Kompetenz angeeignet zu haben, die es ermöglicht, sich situativ und fortwährend in bestimmte, jeweils nur zum Teil vergleichbare Fallsituationen, konzeptionelle Entwicklungsbedarfe und gesellschaftliche Diskurse einbringen und diese bearbeiten zu können? Oder besteht sie schlichtweg darin, „in der Praxis zu funktionieren“, gemessen an den Anforderungen praktischer Arbeit, die immer konkretes Problemlösen ist? Eventuell sogar darin, möglichst passförmig die systemisch-organisational erzeugten Anforderungen erfüllen zu können?

-        Und schließlich: Woher könnte man wissen, was „später“ in der Praxis benötigt wird, in einer Zeit der sich wandelnden Praxis und sich immer wieder neu zeigenden Anforderungen, Problemlagen und Entwicklungen? Angesichts der Breite und Fülle der verschiedensten Berufsfelder und Tätigkeitsbereiche käme es wohl einer individuellen (auf Seiten der Professionellen) wie auch institutionellen (auf Seiten der Hochschulen) Überforderung gleich, auf alles gleichermaßen gut vorbereitet zu sein bzw. vorzubereiten. 

Die zugegebenermaßen zugespitzten Positionen sind natürlich als Pole eines Kontinuums zu verstehen, zwischen denen sich die Wirklichkeit erst entfaltet: Kein_e Absolvent_in verlässt die Hochschule ohne spezielles Wissen (je nach Schwerpunktsetzung aber unterschiedliches), ohne spezifisches, wenn auch exemplarisch erworbenes Wissen, ohne ein methodisches Können, das natürlich nicht voll ausgebildet ist und (schon gar nicht) ohne eine reflektierte Haltung, mit mehr oder weniger praktischer Erfahrung während des Studiums.

Jedenfalls dürfte niemand bestreiten, dass dies in „nicht-dualen“ Studiengängen der Sozialen Arbeit, die sich hoffentlich am Kerncurriculum Soziale Arbeit der DGSA und/oder am Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit des FBTS orientieren, anvisiert wird. Natürlich ginge es spezifischer, bezogen auf bestimmte Anforderungen oder Handlungsfelder.

 

Dual als Lösung? 

Das alles bedeutet nicht, dass nicht-duale Studiengänge besser oder überlegener wären, aber eben auch nicht, dass duale Studienprogramme überlegen oder unterlegen wären. Sie sind schlichtweg anders und – wenn auch sie sich am Kerncurriculum und am Qualifikationsrahmen festhalten – gleichwertig. Anders aufgrund (hochschul-)politischer Entscheidungen, anders bezogen auf studentische Erwartungen (mehr Praxis bitte) und auch anders bezogen auf Erwartungen von Anstellungsträgern.

Und es bedeutet auch nicht, dass andere Studienmodelle – wie kann man sie anders als „normal“ oder „nicht-dual“ bezeichnen? – obsolet oder gar minderwertig wären. Und schließlich bedeutet es auch nicht, dass diese Studienmodelle sich nicht verbessern könnten. Ein (hochschulgelenktes) integriertes Praktikum, an vielen Hochschulen Usus, mehrere (nicht hochschulgelenkte) Praktikumsphasen oder auch das Berufspraktikum sind mögliche Varianten, aber keine sticht die andere per se aus, wenngleich aus meiner Sicht vieles für das frühere einjährige Berufspraktikum sprach. Jede dieser Formen der Einbindung von Praxis in Hochschule, in Lehre kann für sich selbst genommen auch nicht auf alles vorbereiten, es bleibt exemplarisch und damit unvollständig. Duale Studiengänge lösen dieses Problem, wie gesagt, nicht, wohl aber verknüpfen sie praktische Erfahrungen häufiger mit wissenschaftlicher Reflexion, lassen Antworten und Fragen häufiger systematisch-strukturell aufeinandertreffen. Denn das scheint mir wohl das größte Problem hochschulischer Lehre: Dass dort zu häufig Antworten gegeben werden (in Bereichen von Wissen, Können und Haltung), ohne dass Studierende die Fragen schon hätten. Natürlich können aus Antworten rekursiv auch Fragen entstehen, aber häufig ist es so herum schwieriger bzw. es dauert länger, die Fragen formulieren zu können. 

Daraus ergeben sich didaktische Probleme, die man aber lösen kann, auch in „nicht-dualen“ Studiengängen. Sich jeweils einer entsprechenden Studienreform zu widmen bzw. eine fortlaufende Verbesserung der Lehre zu überlegen, ist übliches Geschäft an Hochschulen. Dabei sollten sich alle – duale wie nicht-duale Studienprogramme – eines bewusst sein: Dual kann also, muss aber nicht die Lösung sein, doch die Frage bzw. das Problem dürfte verstanden worden sein.

 

Prof. Dr. Dieter Röh