Die Unterbringung von Geflüchteten – Gesellschaftliche Konflikte und extrem rechte Übernahmen. Gibt es Antworten aus der Sozialen Arbeit?

In den letzten Monaten gab es zahlreiche Proteste gegen die Unterbringung geflüchteter Menschen, z.T. geprägt durch die offene Präsenz rechtsextremer Akteure und gewaltsame Ausschreitungen. Insbesondere Einwohner:innen kleiner, ländlicher Gemeinden und Kommunen gingen auf die Straße – in Bautzen/Sachsen (Oktober 2022), in Zapfendorf/Bayern (Januar-März 2023), in Riedberg/Hessen (März 2023), in Loitz/Mecklenburg-Vorpommern (Januar-Februar 2023) sowie in Upahl/Mecklenburg-Vorpommern (Januar-März 2023).

Bei wieder steigenden Zahlen von Asylanträgen (vgl. BAMF 2023) und einer immer noch hohen Anzahl von Geflüchteten aus der Ukraine, kommen zahlreiche Gemeinden und Kommunen an die Grenzen der Kapazitäten in der Unterbringung. Gleichzeitig verbalisieren viele Einwohner:innen, insbesondere in dünn besiedelten Regionen, dass sie Ängste bezüglich der Unterbringung geflüchteter Menschen haben. Bei allen aufgeführten Protesten (Liste unvollständig) versuchen Einwohner:innen sich gegen die Unterbringung Geflüchteter in Gemeinschaftsunterkünften in ihren Gemeinden bzw. Kommunen zu wehren und Druck auf die jeweilige Kommunalpolitik auszuüben. Bei den Protesten ist außerdem die Teilnahme extrem rechter Akteure und Gruppierungen belegt. Sie stehen in der Mitte der Protestierenden und wirken oftmals wie „Brandbeschleuniger“ für soziale Konflikte.

Dass das Anknüpfen an soziale Fragen eine Strategie der extremen Rechten ist, ist inzwischen vielfach belegt: sichtbar wird in den Protesten, wie anschlussfähig soziale Fragen und Konflikte für rechte Diskurse sind (siehe auch Gille; Krüger; Wéber 2022). Die Szene legt ihren Fokus verstärkt auf lokale Proteste und zielt darauf ab sich mit den Protestierenden zu „solidarisieren“. Das scheinbare Verständnis für die Ängste der Menschen, die Inszenierung als „Kümmerer“, die Unterwanderung von Protesten und Veranstaltungen gehören schon lange zum Repertoire extrem rechter Akteure. Es gelingt ihnen hier, kommunale Diskurse zu beeinflussen und Aktionen umzusetzen. In Regionen, in denen zudem die AfD eine hohe Anzahl von Wähler:innen hat, finden sich auch deren Vertreter:innen auf Bürger:innenversammlungen, um die rechten Narrative von Angst und Hetze zu unterstützen. Der Pogrom in Rostock-Lichtenhagen jährte sich 2022 zum dreißigsten Mal – die Proteste heute zeigen eine erschreckend ähnliche Rhetorik wie damals.

Die Position, die sich rechte Akteure hier erarbeitet haben, zeigt gleichzeitig Leerstellen in der sozialen Daseinsvorsorge. Welche Rolle spielen Angebote der Sozialen Arbeit in der Begleitung von Menschen mit Fluchterfahrungen? Welche Beratungsangebote der betreffenden Gemeinden gibt es für Menschen, die Ängste haben? Inwiefern setzt sich die Soziale Arbeit für menschenwürdige Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ein? Welche Angebote, die Integration unterstützen, bspw. psychosoziale Beratung, Sprachkurse etc. sind tatsächlich erreichbar?

Professionelle Soziale Arbeit, die darauf ausgerichtet ist, „durch Partizipation ein solidarisches Miteinander zu kultivieren, um die Anliegen marginalisierter Bevölkerungsgruppen sichtbar und hörbar werden zu lassen sowie Ausgrenzung und Entmenschlichungsmechanismen aufzuzeigen“ (Köttig/Röh 2019: 13), muss für diese Fragen Antworten haben. Ihre Bemühungen sind in den lokalen Auseinandersetzungen jedoch kaum sichtbar oder oftmals schlicht nicht existent. Zu häufig sind es ehrenamtlich Engagierte, die beispielsweise Angebote für Kinder und Jugendliche in Gemeinschaftsunterkünften organisieren oder sich dafür einsetzen, Begegnungen zwischen Geflüchteten und Einwohner:innen zu ermöglichen – in der Hoffnung, dass in den Kommunen Toleranz und Verständnis wachsen und Integration stattfindet. Nur: Integration kann nicht durch Ehrenamt abgesichert werden. Das wird weder den Engagierten noch den Adressat:innen Sozialer Arbeit gerecht. Die Soziale Arbeit verfügt über eine Vielzahl von Konzepten und Methoden, um soziale Konflikte zu begleiten, passend zu beraten und Begegnungen zu schaffen. In ländlichen Räumen kommen bspw. aufsuchender Arbeit und mobilen Beratungskonzepten eine besondere Bedeutung zu.

Soziale Arbeit muss gesellschaftliche Diskurse und Narrative durch ihre Angebote prägen und Integration kleinräumig und lokal gestalten. Wo sie es nicht tut, öffnet sich der Raum für extrem rechte Einflussnahmen. Diese reichen von Verschwörungserzählungen und antidemokratischen Haltungen über eigene Beratungsangebote in den betroffenen Kommunen bis hin zu Einschüchterung von Einwohner:innen und Kommunalpolitiker:innen. Lückenhafte Angebote sozialer Daseinsvorsorge in ländlichen Räumen sowie prekäre Arbeitsbedingungen für Fachkräfte, bspw. durch befristete Beschäftigung und/oder projektfinanzierte Arbeit, flankieren diese komplexen Herausforderungen. Insbesondere hier zeigt sich die Dringlichkeit eines Rekurses auf die politischen Dimensionen Sozialer Arbeit.

Den vorpolitischen Raum, in dem die Proteste stattfinden, wissen rechte Akteure für die Durchsetzung totalitärer Gesellschaftsentwürfe zu nutzen. Sie knüpfen an soziale Fragen an und antworten mit Angst und Hass. Wenn keine anderen Antworten existieren, können sie in der Bevölkerung leicht Gehör finden. Demokratien haben viel zu verlieren, wenn dieser vorpolitische Raum nicht verteidigt wird. Aber gerade die Soziale Arbeit hat die Möglichkeit – und muss mit politischem Willen auch in die Lage versetzt werden – hier gesellschaftliche Alternativen zu formulieren und zu fördern.

Prof.in Dr. Christine Krüger – Professur für Sozialwissenschaften/Qualitative Sozialforschung, Hochschule Neubrandenburg, DGSA-Mitglied

Literatur

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2023): Aktuelle Zahlen – Ausgabe März. https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-maerz-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=5, 11.04.2023.

Gille, Christoph; Krüger, Christine; Wéber, Júlia: (2022): Die extreme Rechte als Herausforderung für die Soziale Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern. Beltz Juventa. https://www.beltz.de/fachmedien/sozialpaedagogik_soziale_arbeit/produkte/details/47639-einflussnahmen-der-extremen-rechten-herausforderungen-fuer-die-soziale-arbeit-in-mecklenburg-vorpommern.html, Open Access.

Köttig, Michaela/Röh, Dieter (2019): Demokratie und Soziale Arbeit – ein herausforderndes Wechselverhältnis. In: Köttig, Michaela/Röh, Dieter (Hrsg.). Soziale Arbeit in der Demokratie – Demokratieförderung in der Sozialen Arbeit. Theoretische Analysen, gesellschaftliche Herausforderungen und Reflexionen zur Demokratieförderung und Partizipation. Opladen, Berlin und Toronto: Barbara Budrich, S. 11-20.


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