Jugendliche brauchen Freiräume!

Wie Perspektiven junger Menschen in Corona-Zeiten aus dem öffentlichen Blick entschwinden… - eine essayistische Betrachtung

„Jugendliche brauchen Freiräume“ – dieser Appell ist nicht neu, bekommt in Corona-Zeiten aber eine neue Dimension. Den 12- bis -18-Jährigen stehen gerade keinerlei gesellschaftliche Frei- oder Sozialräume zur Verfügung, die es ihnen ermöglichen würden, ihrem jugendlichen Leben nachzugehen. In dieser Altersphase ist es enorm wichtig, sich von der Welt der Eltern, der Lehrer*innen, der Erwachsenen abzusetzen, sich mit Peers zu treffen und gemeinsam Neues auszuprobieren. Wie soll das gehen, wenn für sie sämtliche Räume und Orte außerhalb der zudem sehr unterschiedlich aussehenden häuslichen Umgebung seit mehreren Wochen verschlossen bzw. im wörtlichen Sinne geschlossen sind?

Corona-Partys von Jugendlichen. Kritische (Zwischendurch-)Gedanken zum Generationsverhältnis in Zeiten der Pandemie

Am 21.3.2020 titelt „merkur.de“ in dramatischem Duktus: „Gefährlicher Jugendtrend Corona-Partys: Söder schockiert - Polizei in Bayern greift durch“. Im nachfolgenden Artikel wird vermeldet: “Die Polizei hat in Nürnberg und Schwabach zwei sogenannte Corona-Partys beendet. Rund 100 junge Menschen hatten sich am Montagabend (16. März) in einem Nürnberger Stadtpark zum Feiern getroffen. Dabei hatte die Gruppe auch eine mit Generatoren betriebene Musik- und Lichtanlage, wie die Polizei am Dienstag mitteilte. [...] In Schwabach trafen sich 50 Jugendliche in einem Skater-Park und feierten den Angaben nach ebenfalls lautstark mit einer mitgebrachten Musikanlage. Offenbar hatten sich die jungen Leute über soziale Medien zu der Feier verabredet. Beamte stellten die Anlage sicher und erteilten Platzverweise. [...] Auch Bayerns Ministerpräsident appellierte auf einer Pressekonferenz an die Jugendlichen: „Wir haben Nachrichten bekommen, dass es Corona-Partys gibt bei Jugendlichen“, erzählte Markus Söder. Die Polizei würde solche Aktionen beenden, wie er weiter erklärte. Man könne Eltern und Großeltern anstecken, „wer möchte denn dafür verantwortlich sein?“, fragt Söder.

Besser gestern als heute: Digitale Kompetenzen in der (Lehre der) Sozialen Arbeit während der Corona-Krise

Bettina Radeiski und Michelle Mittmann blicken auf digitale Herausforderungen zu Zeiten der Corona-Krise, wie sie im Netz diskutiert und an Hochschulen umgesetzt werden.

Die Ausbreitung des Coronavirus/COVID-19 schränkt uns ein und verpflichtet uns zur räumlichen Distanz. Dass vor etwa einer Woche bundesweit Hochschulen geschlossen wurden, ist unter Berücksichtigung der rasanten Verbreitung des Virus nur logisch und zu begrüßen gewesen. Diese Entscheidung bringt nun allerdings Herausforderungen mit sich, die von Einzelnen nur mit größten Anstrengungen zu bewältigen sind. Schließlich stehen SozialarbeiterInnen und Lehrende gerade vor der Herausforderung, „mal eben so“ auf digitale Formate umzusteigen, häufig, ohne auf Erfahrungen zurückgreifen zu können.

Fachgruppe Alter: „Was machen die eigentlich?“

Es wird uns wohl niemand widersprechen: Die Lebenslagen im Alter sowie Herausforderungen und Potenziale des Alter(n)s gewinnen seit einigen Jahren auch fachspezifisch für die Soziale Arbeit in verschiedenen Handlungskontexten an Bedeutung. Was lag da näher als die Gründung einer Fachgruppe zu eben diesem Gegenstand in der DGSA? Nichts! Also hat sich im Rahmen der Jahrestagung der DGSA 2019 in Stuttgart die Fachgruppe „Soziale Arbeit in Kontexten des Alter(n)s” gegründet. Der Titel vereint dabei zwei Perspektiven: Zum einen die Beschäftigung mit einer spezifischen Zielgruppe der Angebote der Sozialen Arbeit – nämlich ältere und alte Menschen – und zum anderen die Auseinandersetzung mit einer spezifischen Perspektive auf den Gegenstand Alter(n) – nämlich die der Profession und Disziplin Soziale Arbeit.

Was ist die Wissenschaft Soziale Arbeit und seit wann gibt es sie?

Die Überschrift bildende Frage ist so simpel gestellt und doch kompliziert zu beantworten. Denn mindestens drei verschiedene Ebenen können herangezogen werden, wenn man diese Frage beantworten will. Eine wissenschaftstheoretische Antwort, eine strukturell-institutionelle Antwort sowie eine (wissenschafts)-politische Antwort. Und schnell merkt man, dass es nicht zwangsweise reicht, wenn eine zufriedenstellende Antwort auf nur einer Ebene gegeben wird. Also sortieren wir ein wenig.

Und dazwischen - die Lücke: Bedeutung von Genderwissen in der Sozialen Arbeit

Wir sind auf dem Weg ins Feld, zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen des Fachbereichs Soziale Arbeit einer Hochschule für angewandte Wissenschaften. Wir wollen Kooperationspartnerinnen bei der Kreisverwaltung im ländlichen Raum interviewen. Es geht um die Frage: Wie kann die Öffentlichkeitsarbeit im Landkreis verbessert werden, um eine Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema Gewalt in Paarbeziehungen älterer Frauen und Männer (60+) zu erreichen? Dort angekommen, haben wir noch etwas Zeit bis das Interview beginnt und stehen im Vorraum vor drei Regalen mit Flyern und Broschüren, von denen wir uns einige mitnehmen. Erst als wir ein paar Schritte zurücktreten, fällt uns auf: Das Regal links richtet sich an Frauen. Hier finden sich Informationen zu Mutterschaft, Elternzeit, Kindern, frauenspezifischen Krankheiten und zu Hilfeangeboten bei häuslicher und sexueller Gewalt. Das Regal rechts ist überschrieben mit „Informationen für unsere älteren Mitbürger“. Darunter finden sich Flyer und Broschüren zu Pflege, Wohnheimen, Freizeitangeboten und weiteren auf Rentner*innen bezogene Themen und Angebote. Dem Thema Sicherheit und Gewalt ist eine ganze Reihe gewidmet, aber beide Themen werden in diesem Material, das die Gruppe der Älteren mit Schrift und Bild explizit anspricht, nur im Kontext von unbekannten Täter*innen und Delikten wie z.B. Trickbetrug und Diebstahl thematisiert. Das Regal in der Mitte enthält allgemeine Informationen zum Landkreis.

Für uns ist das Arrangement dieser Regale wie ein Symbol für das Spannungsfeld, in dem wir uns mit unserem Forschungsthema bewegen: Alter und Partnergewalt - und dazwischen eine Lücke.

„Systemsprenger“ oder: Wie Hilfen besser gelingen können! Gedanken zum Spielfilm „Systemsprenger“

Der nachfolgende Text entstand auf Anregung meiner Kollegin Prof. Dr. Michaela Köttig und nach einem intensiven gemeinsamen wechselseitigen Austausch.

Mitte September 2019 kam der Spielfilm „Systemsprenger“ der Regisseurin Nora Fingscheidt in die Kinos. Vor dem Kinostart wurde er bundesweit in Einzelvorführungen bereits Fachkräften, vor allem der Sozialen Arbeit und Pädagogik, gezeigt und mit Podiumsdiskussionen zum Thema flankiert. Die Reaktionen der Fachkräfte auf den Film waren enorm. Es wurde unter anderem benannt, dass der Film sehr emotional und aufwühlend sei. Dies einerseits, weil er einen Fall zeige, bei denen die Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nicht greifen. Und andererseits, weil er ein Kind zeigt, dessen Hilfebedürftigkeit und auch Not gesehen wird, welches aber eben das System „sprengt“. Hinzu kommen der fachliche Anspruch und das Bemühen, jedem jungen Menschen und auch dessen Familie helfen zu wollen. Ein Dilemma war zu sehen, welches Fachkräfte nachhaltig beschäftigte. Teilweise wurde auch Unverständnis darüber geäußert, warum an bestimmten Stellen im Film fachlich nicht anders gehandelt wurde. Es müsse und könne doch auch besser gehen. Von mancher Seite wurde eingeräumt, dass der Film auch Idealbedingungen der Hilfepraxis zeige. Dies beispielsweise in der durchgängigen Verfügbarkeit und Zugewandtheit der zuständigen Fachkraft des Jugendamtes sowie der problemlosen Finanzierung der Hilfe-Maßnahmen. Die Rahmen- und Strukturbedingungen in der Praxis seien weitaus schlechter. Vor allem aber die Szene, in der die Jugendamtsmitarbeiterin resigniert und weinend zusammensackt, wurde als stark emotional empfunden und bewegte auch gestandene Fachkräfte.[1]

Promotionsrundmail Nr. 200: Persönliche Betrachtungen

Die Promotionsrundmail Nr. 200 ist verschickt worden. Nun haben diese runden Zahlen im Dezimalsystem nicht von sich aus eine Bedeutung, man muss ihnen eine zuerkennen: Im Hexadezimal-System lautet die dezimale 200 einfach: C8, im Oktalsystem: 310 und binär: 11001000 – das sieht alles wenig symbolisch aufgeladen aus. Bedeutung ist also etwas, das gegeben, verliehen werden muss. Die Bedeutung, welche die Promotionsrundmail für uns als einzelne Personen von der Redaktion und im Weiteren für die Mitglieder von Fachgruppe und Beirat hat, ist je nach biografischer Situation verschieden. Wir haben daher beschlossen, in diesem Blog der DGSA als Personen sichtbar zu werden, die hinter der Promotionsrundmail stehen.

„Rechtsextremismus“ – Mandat der Menschenrechtsprofession Soziale Arbeit!?

Rückblick auf den gemeinsamen Studientag „Rechtsextremismus“ der Frankfurt University of Applied Sciences und der IUBH Internationale Hochschule

Rund 480 angemeldete Studierende, über 50 Referent*innen und die Erkenntnis: Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und seinen Strukturen sollte viel stärker in den Curricula der Studiengänge Soziale Arbeit verankert sein. So lässt sich der gemeinsame Studientag „Rechtsextremismus“ von Frankfurt University of Applied Sciences (FRA-UAS) und IUBH Internationale Hochschule bilanzieren.

Rezo-ziale Arbeit?!

Kurz vor der Europawahl 2019 landete der Youtuber „Rezo“ mit dem Video „Die Zerstörung der CDU“ einen viralen Hit. Das Video wurde mittlerweile fast 15 mio. mal angeklickt – eine fraglos enorme Reichweite. Es erfuhr sowohl öffentlichen Zu- als auch Widerspruch. Letzterer konzentrierte sich insbesondere auch darauf, die im Video kommunizierten Aspekte und Quellen seien zu einseitig und würden komplexen gesellschaftspolitischen Sachverhalten somit nicht gerecht werden. Dies mag zutreffen, inwieweit eine tiefergehende Betrachtung von Für und Wider bezüglich gesellschaftspolitischer Sachverhalte allerdings Aufgabe von Influencer*innen ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Auffällig ist die Art und Weise, wie mit der gewählten Präsentationsform Video Sachverhalte diskutiert werden. Theoretische Annahmen (die CDU betreibe Klientelpolitik, Klimawandel habe natürliche Ursachen, etc.) werden anhand empirischer Evidenz geprüft. Hierzu werden im Verlauf des 55-minütigen Videos 252 Quellen angegeben. Darunter finden sich neben Wikipediaeinträgen und Youtube-Videos etwa auch zahlreiche Artikel aus peer-reviewed top-tier Journals. Der Physiker Christian Thomsen, Präsident der TU Berlin, attestiert Rezo im Tagesspiegel dabei vornehmlich sauberes Zitieren. Ein solch starker Bezug auf (teils) wissenschaftliches Wissen ist im Kontext deutscher Influencer auf Youtube mutmaßlich ein neues Phänomen, welches einem aus der Popkultur entspringenden Youtube-Video einen durchaus wissenschaftlichen „touch“ verleiht. Ergeben sich daraus Implikationen für die disziplinäre Soziale Arbeit (in diesem Beitrag ist damit generell die deutschsprachige gemeint)? Ja, meine ich, und zwar in Bezug auf Potentiale, ihre Anliegen, Erkenntnisse, Empfehlungen, etc. mit Praxis und Gesellschaft (also insbesondere im sozialpolitischen Diskurs) zu kommunizieren (Wissenschaftskommunikation). Diskutieren wir im Folgenden Aspekte, die sich aus besagtem Phänomen ableiten lassen und die für die zukünftige Entwicklung der Wissenschaftskommunikation der disziplinären Sozialen Arbeit relevant sein könnten.