Vor einigen Tagen sprach ich mit einer Mitarbeiterin eines der ‚migrant resource centres’ in Sydney. Ich bin seit einigen Wochen im Rahmen meines Forschungssemesters hier und beschäftige mich mit Sozialer Arbeit, insbesondere im Umgang mit Geflohenen. Von dieser Mitarbeiterin ließ ich mich im Community Centre herumführen: mindestens 20 Mitarbeiter_innen, sehr viele Projekte mit spezieller Ausrichtung, bspw. im Bereich Arbeitsvermittlung, Jugendliche, häusliche Gewalt. Später erklärte sie mir das ‚australische Modell’ in der Sozialen Arbeit mit Geflohenen: Zunächst – das heißt in den ersten sechs Monaten nach Ankunft – so beschrieb sie, werden Geflohene durch die ‚Australia settlement services for refugees and migrants’ betreut. „The aim of settlement services is to assist new migrants to participate as soon and as fully as possible in Australia economy and society”[1]. Mitarbeiter_innen dieser Services bringen Ankommende kurzfristig unter, suchen für sie und gemeinsam mit ihnen eine Wohnung und Arbeit. Nach sechs Monaten übernehmen dann die ‚migrant resource centres’, ab hier werden Refugees, die dann auch bald als reguläre australische Staatsbürger anerkannt werden, mit Hilfe von ‚case work’ betreut. Häufig arbeiten diese Centre mit einem community developement Ansatz. Es geht darum, eng mit den Menschen zusammen zu arbeiten, sie dabei zu unterstützen Anschluss im Stadtviertel zu finden, Ansprechpartner_innen bei Fragen und Problemen zu haben und sich zunehmend allein im neuen Land zurecht zu finden. Diese Phase der Betreuung erstreckt sich über einen Zeitraum von 5 Jahren und kann darüber hinaus verlängert werden.
WOW, dachte ich, und machte dies auch im Gespräch deutlich, ein solches Programm würde ich mir für Deutschland unbedingt wünschen. Es wäre genau so ausgerichtet, wie ich es für Ankommende sinnvoll finde. Allerdings war ich auch etwas verwirrt, da bisher mein Eindruck war, dass der Umgang mit Geflohenen in Australien sehr restriktiv und abschreckend ist. „Ja und Nein“ war die Antwort. Das beschriebene Procedere nennt sich ‚onshore protection’ und ist an alle ‚refugees’ gerichtet, die über bestimmte Visa[2] einreisen. D.h. diese Personen haben ein spezifisches Visum für ‚refugees’ beantragt (warten – wie ich aus verschiedenen Interviews weiß – dann einige Jahre) und sind dann, nachdem das Visum akzeptiert wurde, ggf. eingereist. Sie sind damit als ‚refugees’ anerkannt. Pro Jahr vergibt Australien ca. 13.500 Visa mit einem solchen Hintergrund. Etwa 2000 Menschen mit einem solchen Visum befinden sich bei der Anerkennung bereits in Australien, die restlichen sind außerhalb des Landes und es ist unklar ob sie einreisen werden.
Ganz anders dagegen ist der Umgang mit denjenigen Geflohenen, die ‚offshore’ versuchen nach Australien einzureisen, meist tatsächlich über das Meer, allerdings auch per Flugzeug. Sie werden abwertend als ‚boat people’ und offiziell meist als ‚asylum seekers’ bezeichnet. Das gemeinsame Merkmal ist, dass diese Menschen kein Visum beantragt haben. Die Politik ist hier ganz eindeutig: „Wenn ihr ohne Visum in unser Land kommt, wird Australien niemals eure Heimat werden – es gibt keine Ausnahmen“ – heißt es bspw. in einem von der australischen Regierung über Youtube verbreiteten Video[3], das in 17 Sprachen übersetzt ist. Menschen die offshore einreisen erhalten keinerlei Art von Serviceleistungen. Es kann eher davon gesprochen werden, dass ihnen jeglicher Service verweigert wird. In jedem Fall werden sie in sogenannten ‚detention camps’ festgehalten – sofern sie es bis nach Australien schaffen. Es gibt und gab unterschiedliche von der Regierung mit sehr viel Geld finanzierte Praktiken dies bereits vorher zu verhindern: Fischerboote mit Geflohenen werden bspw. auf dem Meer dazu gebracht umzukehren, Geflohene aus solchen Fischerbooten werden in sogenannte ‚lifeboats’[4] umquartiert und zurück ins Meer gelassen, damit sie wieder nach Asien zurückgetrieben werden. Es ist unklar, was genau auf dem Meer passiert, da die Regierung ‚aus Sicherheitsgründen’ verweigert Auskunft zu geben. Zudem wurden seit Beginn der 2000er und erneut seit 2012 Menschen auf dem Meer aufgefangen und außerhalb von Australien bspw. auf Manus Island (Papua Neuguinea) oder in Nauru über Jahre in ‚detention camps’ festgehalten. Ihren Berichten zufolge wird ihnen nicht gesagt wo sie sich befinden, wie lange sie dort bleiben werden und es wird ihnen vermittelt, dass sie keine Chance haben jemals nach Australien einreisen zu können. Durch einen gerade veröffentlichten Dokumentarfilm, gedreht mit einem Mobiltelefon von einem im Iran verfolgten Journalisten, der seit 4 Jahren festgehalten wird, werden Gerüchte belegt, wonach es zu Folterungen im Camp von in Manus Island kommt[5]. Besonders schwierig ist die Situation für inhaftierte Kinder. Sie erleben Gewalt und sexuelle Übergriffe[6]. Sozialarbeiter_innen, die in diesen Camps eingesetzt wurden, sind in der Regel nicht ausreichend ausgebildet, haben unglaubliche Arbeitsbedingungen (vier Wochen arbeiten, zwei Wochen frei), werden vertraglich gezwungen nichts über die Arbeitsbedingungen nach außen dringen zu lassen. Es wird erheblicher Druck auf sie ausgeübt damit sie sich unfreundlich und distanziert gegenüber den geflohenen Menschen verhalten (vgl. Briskman/Doe 2016[7]). Die Australische Association of Social Workers (AASW) hat unterschiedliche Statements[8] zur Situation der Geflohenen und insbesondere der Kinder in offshore detention abgegeben und vor allem auch darauf verwiesen, dass diese Art der Beschäftigung von Sozialarbeiter_innen mit dem Code of Ethics[9] nicht vereinbar ist, ohne dass dies wesentlich zu einer Veränderung der Situation beigetragen hätte. Nachdem Selbstmorde und Selbstverletzungen in diesen Camps extreme Ausmaße angenommen hatten, soll das Camp in Neuguinea auf Beschluss des obersten australischen Gerichtshofes aufgelöst werden. Und da die australische Regierung dem nicht nachkam, bot die USA an, die offshore festsitzenden Geflohenen aufzunehmen (vgl. Washingtoner Deal[10]) – eine Abmachung, die mit der neuen Trump-Regierung nicht mehr sicher zu sein scheint. Mitte Juni nun hat die australische Regierung einer relativ hohen Entschädigungssumme zugestimmt, die Inhaftierten in Manus Island ausgezahlt werden soll, um einen sich lange hinziehenden Prozess mit noch höheren zu erwartenden Kosten zu vermeiden[11]. Allerdings ist auch damit nicht verbunden, dass die zum größten Teil über mehrere Jahre festsitzenden offshore-Geflohenen als refugees in Australien anerkannt werden.
Als Gründe für diesen inhumanen Umgang der australischen Regierung mit offshore Geflohenen kann gemutmaßt werden, dass sie Australien als Einwanderungsland definiert und damit die Kontrolle darüber behalten will, wer nach Australien einreist. Und es geht sicher auch darum beonders abschreckend auf solche Menschen zu wirken, die sich diesem Procedere nicht unterworfen haben/nicht unterwerfen können. Gleichzeitig bedeutet dieses Vorgehen jedoch, dass es faktisch nicht wirklich ein Asylverfahren gibt, denn diejenigen Menschen, die über Jahre in einem anderen Land leben können, sind weit weniger in Gefahr als diejenigen, die die Flucht – trotz aller Abschreckung – über das Meer auf sich nehmen (müssen). Ein solches Verfahren kann als menschenunwürdig angesehen werden und sollte für eine zivilisierte Gesellschaft unmöglich sein. Dies wird von Human Rights Organisationen und vielen NGO’s, dem AASW und engagierten Jurist_innen in Australien immer wieder so formuliert, auch offiziell wurde Australien bspw. von der UNO heftig kritisiert. Wenn also in Österreich[12] breit diskutiert, in Deutschland eher laut gedacht als ausgesprochen wird, das ‚australische Modell’ in der Geflohenenpolitik einzuführen, so kann dem zugestimmt werden – was den Umgang mit ‚refugees’ angeht. Der Umgang mit ‚asylum seekern’ ist jedoch eindeutig als menschenrechtswidrig abzulehnen.
Michaela Köttig, Vorstandsvorsitzende der DGSA
[1] see:
http://www.aph.gov.au/About_Parliament/Parliamentary_Departments/Parliamentary_Library/Publications_Archive/archive/settlement,
Zugriff 11.06.2017
[2] see: https://www.border.gov.au/Trav/Refu/Offs/Refugee-and-Humanitarian-visas, Zugriff 11.06.2017
[3] see: https://www.youtube.com/watch?v=rT12WH4a92w , Zugriff 11.06.2017
[4] see: https://www.theguardian.com/australia-news/2015/mar/05/orange-lifeboats-used-to-return-asylum-seekers-to-be-replaced-by-fishing-boats, Zugriff 11.06.2017
[5] Film: Chauka, please tell us the time (von dem niederländischen Filmemacher Arash Kamali Sarvestani und dem in Manus festgehaltenen iranischen Journalisten Behrouz Boochani) see: http://honisoit.com/2017/06/sydney-film-festival-chauka-please-tell-us-the-time/ Zugriff 22.06.2017
[6] see: http://www.smh.com.au/comment/australia-trafficks-and-abuses-asylum-seeker-children-20140224-33cxs.html, Zugriff 11.06.2017
[7] vgl. Briskman, Linda/Doe, Jane (2016): Social Work in Dark Places: Clash of values in offshore immigration detention. In: Social Alternatives, vol 35, No. 4
[8] see: https://www.aasw.asn.au/social-policy-advocacy/position-papers-and-statements, Zugriff 11.06.2016
[9] see: https://www.aasw.asn.au/practitioner-resources/code-of-ethics, Zugriff 11.06.2017
[10] see: https://www.theguardian.com/australia-news/2017/feb/02/qa-what-is-the-australian-refugee-deal-and-why-has-it-angered-trump, Zugriff 11.06.2017
[11] see: http://www.smh.com.au/federal-politics/political-news/peter-dutton-blasts-ambulancechasing-law-firm-after-landmark-90-million-manus-island-settlement-20170614-gwqum0.html und http://www.tagesschau.de/ausland/australien-fluechtlinge-103.html, Zugriff beide 15.06.2017
[12]
see: http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlingskrise-das-modell-australien-ist-fuer-die-eu-kein-vorbild-a-1106179.html,
Zugriff 11.06.2017